Das First-Mail-Ende soll den Briefmarkt in Schwung bringen
Private Briefdienste bewerten das Aus der Billigtochter der Deutschen Post als erste Chance für echten Wettbewerb im Markt. Post beendet ihren Versuch, der Konkurrenz mit zweitem Zustelldienst und Niedrigpreisen Kunden abzujagen. Die Transparenz der Portopreise war nach Auffassung der Branchenvertreter noch nie so hoch wie jetzt.
Hamburg: Nur wenige Monate blieb das Trojanische Pferd im Briefmarkt unerkannt. Schon kurz nach der Firmengründung von First Mail wurde in den Medien bekannt, dass dieser kleine neue Briefdienst aus Düsseldorf in Wirklichkeit eine Tochtergesellschaft der Deutschen Post AG war und eben kein neuer Konkurrent unter den privaten Briefzustellern. Der damalige Postchef Klaus Zumwinkel räumte das auch unumwunden ein und begründete das Ganze damit, dass der Bonner Konzern lernen wolle, wie ein privater Briefdienst funktioniere. Das war im Jahr 2004. Zumwinkels Nachfolger, Frank Appel, macht jetzt diese Baustelle dicht und schließt die Firma.
Allerdings wurde Appel durch Gerichtsentscheidungen zu den Portopreisen von First Mail zu diesem Schritt mehr oder minder gezwungen, denn die Firma hatte mit unlauteren Preisen den Konkurrenten das Überleben schwer gemacht. Zudem arbeitete sie seit ihrer Gründung nur mit Verlusten, die vom Mutterkonzern ausgeglichen werden mussten. Von den rund 1600 First-Mail-Beschäftigten wird die Post nun 1100 Mitarbeiter übernehmen.
Das Ende der Billigtochter dürfte den deutschen Briefmarkt ganz wesentlich verändern: Erstmals seit der Marktöffnung im Jahr 1998 und der völligen Freigabe vor drei Jahren hat der Wettbewerb eine realistische Chance, tatsächlich zu funktionieren. Zu verdanken ist das der Bundesnetzagentur unter ihrem Chef Matthias Kurth.
"Sollte die Post die Tochter First Mail tatsächlich schließen, hätten die privaten Briefdienste endlich die Möglichkeit, sich zu entwickeln", sagte Florian Gerster, Präsident des Arbeitgeberverbandes Neue Brief- und Zustelldienste, der "Welt". Die Post hatte am Dienstag offiziell erklärt, dass die Tochterfirma zum Ende des Jahres dichtgemacht wird. Nach dem Aus für den früheren Postmindestlohn und der Regelung zur Mehrwertsteuer auf das Briefporto ist dies nach Auffassung von Gerster der nächste und entscheidende Schritt: "Die Preispolitik der Post war noch nie so transparent wie jetzt. Die Bundesnetzagentur hat klar gestellt, dass die Post nicht mit Dumpingpreisen agieren darf", sagt der Cheflobbyist der Post-Konkurrenten.
An anderer Stelle klingt dies noch deutlicher. "Das ist der Durchbruch für die Briefdienste. Wenn sich die Post und Großkunden rechtstreu verhalten, dann haben die Konkurrenten jetzt ganz andere Möglichkeiten, ihr Geschäft auszubauen", sagt Ralf Wojtek, der als Fachanwalt die Interessen privater Postfirmen vertritt. Die Post könne nun nicht länger Konkurrenten aus dem Feld schlagen, indem sie Portopreise am Markt verlange, die nicht kostendeckend seien.
Auch in den Betrieben selbst herrscht Aufbruchstimmung. "In regionalen Briefmärkten wie in Berlin, wo wir stark vertreten sind, wird dies auf jeden Fall Folgen haben", sagte Axel Stirl, Vorstandschef der Pin Mail, im Gespräch mit der "Welt". Das Preisniveau werde mittelfristig steigen. Das wiederum mache es Mittelständlern wie Pin Mail möglich, wirtschaftlich zu arbeiten. Gefordert wird nun eine wirksame Kontrolle der Portopreise der Post wie auch der Konzerntochter Williams Lee. "Das wäre eine Aufgabe des Bundeskartellamts", sagte Pin-Chef Stirl.
Manager der privaten Briefdienste rechnen mit einer Preisuntergrenze von rund 40 Cent für einen Standardbrief. Die Preise von First Mail liegen deutlich darunter, sind aber von der Bundesnetzagentur als nicht kostendeckend beanstandet worden. Die Behörde hat der Post auferlegt, die Portopreise anzuheben. Der Post-Konzern wiederum ist nun in zwei Schritten vor Gericht mit dem Versuch gescheitert, die Umsetzung der Preisanhebung bis zu einer endgültigen juristischen Klärung auszusetzen. First Mail müsste also in den nächsten Wochen von seinen Kunden mehr Geld verlangen. Offensichtlich erscheint das Postchef Appel aber als aussichtsloses Unterfangen, weshalb er nun die Firma abwickeln lässt.
Trotz der Öffnung des Briefmarktes seit 1998 ist es der Post bislang gelungen, rund 90 Prozent des Briefversands zu kontrollieren. Das hat sich auch nach der kompletten Freigabe des Briefversands vor knapp vier Jahren nicht geändert. Briefdienste wie Pin Mail oder auch TNT mussten ihre hochfliegenden Pläne immer wieder zurechtstutzen. Die zur niederländischen Post gehörende TNT hat in den vergangenen zehn Jahren keinen Gewinn in Deutschland erzielt. Gelegentlich wurde sogar über einen Rückzug von TNT aus dem schwierigen Markt spekuliert - besonders im vergangenen Jahr, als sich die Deutsche Post aus den Niederlanden als Briefzusteller verabschiedete. "Dass TNT jetzt in Deutschland aufgibt, ist ausgeschlossen", hieß es nun im Umfeld der Firma. Eine offizielle Aussage gibt es aber nicht.
Seit der Marktöffnung hat die zuständige Bundesnetzagentur rund 2500 Lizenzen an Firmen in der Briefzustellung vergeben. Doch die meisten Zulassungen wurden wieder zurückgereicht. Branchenexperten schätzen, dass heute etwa 700 Unternehmen in der Branche tätig sind. Die Größe des Briefmarktes wurde im vergangenen Jahr mit rund elf Mrd. Euro Umsatz angegeben, dahinter stehen fast 20 Mrd. Sendungen. Die Deutsche Post hält jeweils rund 90 Prozent an Umsatz und Sendungen, die restlichen zehn Prozent teilen sich die privaten Briefdienste.
Nach wie vor stark vertreten sind darunter Verlage. So betreiben die Medien Union in Ludwigshafen, die WAZ-Gruppe aus Essen und die Verlagsgesellschaft Madsack aus Hannover mehrere Dutzend Briefzustelldienste. Mit den Unternehmen P2/Zweite Post oder Mail Alliance gab es zuletzt zwei groß angelegte Kooperationen unter den Briefdiensten. Bislang ist es jedoch nicht gelungen, ein funktionierendes und effektives bundesweites Zustellnetz aufzubauen. Dafür haben sich jetzt die Rahmenbedingungen verbessert.
Quelle: Welt online vom 24.11.2011
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